Longevity im touristischen Kontext

Ein Beitrag von Prof. Dr. Prof. FH Kai Illing

Wir wollen Longevity mit Langlebigkeit übersetzen. Die Lebenserwartung ist die so genannte Life Expectancy (oder Life Expectation), die sich bei Menschen in Europa im Durchschnitt bei etwas über 80 Jahren beläuft, wobei Frauen ein wenig länger leben[1]. Auch der Begriff Lifespan meint die Zeitspanne bzw. die Lebensdauer, die einem Menschen (bzw. Lebewesen allgemein) verbleibt, und zwar von seinem Tag der Geburt bis zu seinem Tod. Das hat zunächst eine quantitative Dimension (Anzahl der Jahre, Monate und Tage). In der aktuellen Diskussion kommen aber häufig noch qualitative Aspekte dazu, wie beispielsweise der Hinweis, dass ein hohes bzw. verlängertes Alter vor allem dann wünschenswert ist, wenn die letzten bzw. dazugewonnenen Jahre bei guter Lebensqualität verbracht werden.

Wir sehen derzeit und schon seit längerer Zeit viele populäre Themen, die sich rund um Gesundheit, Körperschönheit, Fitness, Lebenstüchtigkeit und eben Langlebigkeit ranken. Die Popularität dieser Themen ist nicht neu, doch fungieren die Fortschritte der Medizin, die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie wie auch die demografische Entwicklung wie ein Katalysator, der die Dringlichkeit dieser Themen ungemein verstärkt. Derzeit scheint es so, dass besonders in den anglophonen Ländern das Wort „Longevity“ ein Kristallisationspunkt für all diese Entwicklungen darstellt. Themen dieser Art sind für Wellness-Hotels aus mehreren Gründen von großer Bedeutung, schließlich hat die Wellness-Gedankenwelt auch einen engen Bezug zu einer gesundheitsorientierten Lebenseinstellung.

Gesundheitsziele im touristischen Kontext

Entspannung ist häufig ein Instrument, mithilfe derer mehr Energie für ein erfolgreiches Leben erlangt werden soll.

Prof. Dr. Prof. FH Kai Illing

Die Mehrzahl jener, die einen Aufenthalt in einem Wellness-Hotel bucht, meint, sie würde Entspannung benötigen. Wer dann im Rahmen einer tiefenpsychologischen Konsumentenanalyse von Gästen dieses zentrale Motiv hinterfragt, erhält sehr häufig die Auskunft, dass die Entspannung ein Instrument ist, mithilfe derer mehr Energie für ein erfolgreiches Leben erlangt werden will. Diese Kraft wird zumeist benötigt, um im beruflichen Leben besser weiterzukommen. Allerdings muss betont werden, dass die Analyse der Konsumbedürfnisse tatsächlich deutlich differenzierter ist, aber im Rahmen dieses Beitrages müssen wir uns auf eine verkürzende Zusammenfassung beschränken (weitere Hinweise zu Publikationen können beim Autor erfragt werden).

Die Frage, WAS KundenInnen erreichen wollen im Rahmen eines touristischen Wellness-Kontextes (s. oben vordergründig Entspannung), kann um die Frage ergänzt werden, auf welche Weise, also WIE, dieses Ziel erreicht werden soll. Dabei geht es häufig um Massagen, Bäder, eine angenehme Atmosphäre und anderes mehr. Der Hotelier jedoch sollte sich nicht mit der Angabe „angenehme Atmosphäre“ zufriedengeben, schließlich erschließt sich aus dem Begriff nicht, was gemeint ist, und so sollte als nächstes der Begriff Atmosphäre unter die Lupe genommen werden. Dies ist ein Hinweis und ein Appell, das Thema Gästebedürfnisse so genau wie möglich zu erforschen. Wir wissen doch aus dem Marketingsprech, dass nur begeisterte Kunden zu Stammkunden werden.

Longevity im Hotel – Medizinalisierung und Anwendungsvielfallt

Wenn es der Anspruch des Hotels ist, das Thema Gesundheit oder sogar Longevity ernst zu nehmen, kommen viele Dinge ins Spiel, die wir alle schon mal gehört haben und kennen wie z.B. gesunde Ernährung, Bewegung oder guter Schlaf. Und wenn ein Hotel an dieser Stelle nicht stehen bleiben möchte, oder sogar auch vor einer Medizinalisierung nicht zurückschreckt, kann es mit sehr vielen anderen Dinge arbeiten wie z.B. mit IHHT (Intermittierendes hypoxisch-hyperoxisches Training), mit Sauerstoffinfusionen, mit MBSR (Mindfullness Based Stress Relief), mit minimal invasiver Kosmetischer Ästhetik oder vielen anderen Dingen. Das letzte Beispiel steht hier mit voller Absicht, denn aus der tiefenpsychologischen Konsumentenforschung wissen wir, dass ein attraktives Äußeres einen großen Beitrag für die Menschen leistet in Form eines gesteigerten Selbstbewusstseins, welches oftmals hilft, ein wenig leichter durchs Leben zu gehen. Abgesehen davon sei darauf hingewiesen, dass die Medizinalisierung eines Hotels zu deutlich höheren Umsätzen bzw. auch Gewinnen führen kann.

Das Thema, auf welche Weise Longevity erreicht werden kann, umfasst viele Zugänge, wobei optimalerweise verschiedene Ansätze zusammengesehen werden sollten. Neben der Darmgesundheit, der Zellgesundheit, der Herzgesundheit und vieler anderer altersverlängernder Themenbereiche sind noch viele andere Ansätze zu nennen. Wir kennen einige davon in der Hotellerie, die sich auf verengte Ansätze konzentrieren und darauf ihre Heilslehre aufbauen. Eine sehr spezialisierte Person mit Arztberuf an Bord zu holen, kann für die Gesundheit (und Langlebigkeit inklusive guter Gesundheit) die Gäste sehr wertvoll sein. Eine Person aber, die die ungeheure Anwendungsvielfallt in diesem Bereich überblickt und dabei permanent die neuesten Harward- oder andere medizinische Studien rezipiert und darüber hinaus jeder Behandlung eine gründliche Diagnosephase vorausschickt bei voller Kenntnis der passenden Medizingeräte, dürfte voraussichtlich die bessere Wahl sein.

Ökonomisch attraktive Konzepte rund um das Wohlbefinden Älterer

Die wirtschaftliche Attraktivität eines Hotels ist derzeit ein Thema mit besonderer Bedeutung, weil die Buchungs- und Personallage bzw. Umsatzerwartung vieler Hotels als angespannt anzusehen ist. Neben der zuvor angesprochenen medizinischen Ausrichtung birgt auch die demografische Entwicklung große Chancen, neue Standbeine aufzubauen und dabei etwas wirklich Gutes zu tun. Die abzusehende Verknappung von Pflegekräften und Pflegebetten besonders in europäischen Ländern wird unweigerlich zu einer verstärkten Mobilität von älteren Menschen führen („Retirement Mobility“). Das betrifft sowohl preisattraktive Angebote in osteuropäischen oder nordafrikanischen Ländern wie auch Luxusangebote in südlichen und warmklimatischen Ländern mit einem sehr großzügigen Personalschlüssel, großen lichtdurchfluteten Apartments und Meerblick sowie Longevity-orientierter Betreuung bzw. Therapie. Das alles ist Hospitality, nur müssen wir an dieser Stelle die sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen und die gesundheitlichen Einschränkungen der alten Menschen genau kennen. Wer diese Märkte beobachtet, wird erkennen, dass sich z.B. Tunesien anschickt, sein Angebot in diese Richtung stark auszuweiten, allerdings in eher günstigen Preissegmenten.

Medizin im Hotel oder alte Menschen im Hotel sind Themen, mit denen viele Betriebe in Mitteleuropa noch stark fremdeln. Sie erkennen nicht die Potenziale, die sich dahinter verbergen oder schrecken vor neuen Themen ab, weil sie neu und deshalb unbegehbar erscheinen. Der Autor dieses Beitrages sitzt derzeit mit einer Arbeitsgruppe von Architekten, Betreibern und Entwicklern zusammen, um im Rahmen eines Resorts ein Hotel, Villen und Apartments, eine Klinik sowie ein Seniorenresidenz als Verbund zu planen und in verschiedenen Ländern umzusetzen. Dies alles geschieht unter dem Leitmotto von Longevity. Da hier recht verschiedene Zielgruppen zusammenwohnen, muss das Gelände sehr groß sein, damit jede Gruppe für sich sein und ihren Bedürfnissen nachgehen kann.

Es ist Zeit, neue Denkrichtungen in Betracht zu ziehen. Da Geld derzeit leider nicht besonders billig ist, jedes Investment also eine längerfristige Belastung ist, muss jedoch genau überlegt und noch genauer geplant bzw. kalkuliert werden. Der Deutsche Longevity Gesellschaft e.V. will auf interessante Entwicklungen hinweisen, interessierte Menschen Vernetzen und Vorhaben dieser Art unterstützten.

Prof. Dr. Prof. FH Kai illing


[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/954/umfrage/lebenserwartung-bei-geburt-in-ausgewaehlten-laendern-der-europaeischen-region/